Virtuelle Hauptversammlung – so geht‘s
Hintergrund
Hauptversammlungen (HV), insbesondere solche börsennotierter Publikumsaktiengesellschaften, wären aufgrund der in Folge der Covid-19-Pandemie verhängten Kontakt- und Versammlungsverbote auf absehbare Zeit nicht möglich gewesen. Dies hätte gravierende Folgen gehabt, weil dann zum Beispiel keine Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet werden können. (Dass viele Gesellschaften die Dividende mittlerweile gekürzt oder ganz gestrichen haben, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.) Der Gesetzgeber hat darauf reagiert und quasi über Nacht das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts‑, Genossenschafts‑, Vereins‑, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (vom 27. März 2020, BGBl. I. S. 569, im Folgenden: Covid-19-Gesetz) beschlossen und damit die rein virtuelle HV, ohne physische Präsenz ihrer Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten, ermöglicht.
Wir halten die virtuelle HV für ein extrem sinnvolles Tool und sind fest davon überzeugt, dass die virtuelle HV auch nach Ende der Corona-Krise das Zeug hat, sich langfristig zu etablieren. Im Folgenden stellen wir unsere Erfahrungen dar, die wir bei der Beratung von Aktiengesellschaften bezüglich der Vorbereitung von virtuellen Hauptversammlungen gesammelt haben. Die Aktienrechtsspezialisten von Roser begleiten seit Jahren börsen- und nicht börsennotierte Aktiengesellschaft bei Hauptversammlungen.
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Wem steht die virtuelle HV offen?
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Die virtuelle HV steht sowohl börsennotierten als auch nicht börsennotierten AGs, der SE und der KGaG offen.
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Wer entscheidet darüber, ob eine virtuelle HV stattfindet?
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Der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats. In Bezug auf den Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats empfiehlt sich, eine Durchführungsermächtigung zugunsten des Vorstands aufzunehmen, damit der Vorstand etwaige erforderliche Änderungen allein beschließen kann, ohne erneut die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen.
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Was sind die Voraussetzungen für die Durchführung einer virtuellen HV?
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- Die gesamte HV muss in Bild und Ton übertragen werden. Die Beschränkung auf die Rede des Vorstands, die auch in der Vergangenheit schon von vielen Gesellschaften im Internet gezeigt wurde, genügt nicht.
- Den Aktionären muss die Möglichkeit zur Stimmrechtsausübung im Wege elektronischer Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie die Möglichkeit der Erteilung einer Vollmacht (an die Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft) eingeräumt werden. Über das Verfahren der Stimmabgabe entscheidet der Vorstand.
- Aktionären muss eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt werden. Der völlige Ausschluss des Fragerechts ist nicht zulässig. Das Verfahren liegt im Ermessen des Vorstands (siehe dazu näher weiter unten).
- Gegen die Beschlüsse der HV muss ein elektronischer Widerspruch (bis zum Ende der HV) möglich sein. Diese erweiterte Widerspruchsbefugnis muss jedenfalls Aktionären eingeräumt werden, die auch ihr Stimmrecht ausgeübt haben, das heißt im Umkehrschluss nicht allen Aktionären.
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Welches sind die zwei unterschiedlichen Arten der Ausgestaltung der virtuellen HV?
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- Bei der einen Art wird den Aktionären die Stimmrechtsausübung im Wege der elektronischen Kommunikation (sog. Briefwahl) und die Möglichkeit der Vollmachterteilung an die Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft ermöglicht. Die Briefwahl war auf Basis entsprechender Satzungsklauseln bei vielen Gesellschaften auch bisher schon geübte Praxis. Für diese ändert sich – abgesehen von der fehlenden Präsenz der Aktionäre – bei der Vorbereitung der HV nicht viel („online-HV light“).
- Die andere Art ist die „echte“ Online-Teilnahme (im Wege einer aktiven Zwei-Wege-Direktverbindung). Bei dieser nimmt der Aktionär in Echtzeit teil und kann – alle oder einzelne versammlungsgebundene, je nach Zulassung durch den Vorstand – Rechte, einschließlich des Stimm- und des Antragsrechts, ausüben. Auch dies war auf Basis entsprechender Satzungsklauseln möglich, hat sich aber bislang – und auch in dieser HV-Saison – nicht durchsetzt. Auf diese wird daher im Folgenden nicht näher eingegangen.
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Wer nimmt an der virtuellen HV teil?
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- Teilnehmen müssen mindestens:
- der Versammlungsleiter, also i.d.R. der Aufsichtsratsvorsitzende
- mindestens ein Vorstandsmitglied, also i.d.R. der Vorstandsvorsitzende
- der Notar (bei nicht-börsennotierten Gesellschaften entfällt die Anwesenheit des Notars, sofern nicht Beschlüsse gefasst werden, die einer Dreiviertel-Mehrheit bedürfen, § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG); der Notar kann theoretisch aber auch zugeschaltet werden
- der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft (sollte zumindest greifbar sein)
- der Versammlungsleiter, also i.d.R. der Aufsichtsratsvorsitzende
- Die übrigen Vorstand- und AR-Mitglieder können, müssen aber nicht zugeschaltet werden.
- Ergänzend ferner: Techniker für Kamera, Übertragung etc. sowie ein Vertreter vom HV-Dienstleister (soweit vorhanden)
- Teilnehmen müssen mindestens:
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Gibt es Vorgaben für den Ort der Aufzeichnung?
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Im Covid-19-Gesetz nicht und grundsätzlich wäre eine solche Vorgabe auch widersinnig, da die Bild- und Tonübertragung über das Internet erfolgt und dieses gerade nicht ortsgebunden ist. § 121 Abs. 3 Satz 1 AktG verlangt für die normale HV aber grundsätzlich die Angabe des Orts der HV und die meisten Satzungen bestimmen, dass die HV am Sitz (oder einer anderen Großstadt/Stadt mit einer Börse) stattzufinden hat. Aus Gründen der Vorsicht erscheint die Aufzeichnung am Ort des Sitzes der Gesellschaft (oder den weiteren nach der Satzung zulässigen Orten) daher ratsam. Dies muss nicht der Ort der Verwaltung sein. Ein Ausweichen auf zum Beispiel ein Fernsehstudio am Satzungssitz wäre ohne weiteres zulässig. Wie genau die Angabe in der Einberufung zu sein hat, ist offen.
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Ist die Übertragung im Internet frei zugänglich?
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Das kann die Gesellschaft frei entscheiden. Sie kann die Übertragung frei öffnen, aber auch auf angemeldete Aktionäre und deren Bevollmächtigte beschränken. Letzteres ist unseres Erachtens empfehlenswert. Auch bei der normalen HV hätten nur die Aktionäre Zutritt zur Versammlung. Hier gilt das „gesprochene Wort“ und es werden keine Aufzeichnungen zugelassen. Bei der virtuellen HV kann zwar nicht verhindert werden, dass ein Aktionär Ausschnitte der Übertragung aufzeichnet und dann online stellt. Das ist aber immer noch ein Unterschied zu einer öffentlichen Übertragung.
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Ist es ein Problem, wenn (einzelne) Aktionäre keinen Zugang zum Internet haben?
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Die Gesellschaft muss nur die Möglichkeit der Teilnahme in dem oben beschriebenen Umfang schaffen. Für den Zugang zum Internet ist hingegen jeder Aktionär selbst verantwortlich.
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Wie gilt bei Störungen des Internets?
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Ausweislich der Gesetzesbegründung ist nicht vorausgesetzt, dass die Übertragung der gesamten HV technisch ungestört abläuft und insbesondere bei jedem Aktionär ankommt. Eine technische Störung würde also nicht zur Anfechtbarkeit der auf der HV gefassten Beschlüsse führen. Ganz allgemein wird man von der Gesellschaft aber verlangen dürften, dass etwaige Störungen, sofern behebbar, von der Gesellschaft beseitigt werden. In diesem Fall sollte der Versammlungsleiter die HV kurz unterbrechen.
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Bis wann müssen Aktionäre ihre Fragen bei der Gesellschaft einreichen?
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§ 1 Abs. 2 Satz 2 Covid-19-Gesetz eröffnet die Möglichkeit, dass Aktionärsfragen bis spätestens zwei Tage vor der virtuellen HV im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind, zum Beispiel unter einer dafür vorgesehenen E-Mail-Adresse. Fast alle Gesellschaften machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Es gibt auch keine Nachfragen mehr in der virtuellen HV, was die Q&As erheblich verkürzt.
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Muss der Vorstand alle Fragen beantworten?
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Nein. Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet (§ 1 Abs. 2 Covid-19-Gesetz letzter Absatz). Der Vorstand kann sich dabei an den in § 131 Abs. 3 AktG geregelten Fallgruppen orientieren. Der Vorstand kann auch die Beantwortung von Fragen ablehnen, diese zusammenfassen oder im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen. Eine bevorzugte Beantwortung von Fragen, die durch Aktionärsvereinigungen oder institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen gestellt werden, ist möglich. Auch eine Begrenzung der Fragen auf (zum Beipiel) 5.000 Zeichen pro Frage halten wir für zulässig. Der Vorstand kann die Fragemöglichkeit auch auf angemeldete Aktionäre beschränken. Fragen in Fremdsprachen braucht er nicht zu berücksichtigen. Die Beantwortung erfolgt grundsätzlich in der virtuellen HV, es sei denn, die Fragen wurden vorab bereits auf der Website beantwortet. Insgesamt kommt dem Vorstand damit bei der Beantwortung der Fragen ein großer Ermessensspielraum zu. Das Auskunftsrecht der Aktionäre (§ 131 Abs. 1 AktG) wird durch das Covid-19-Gesetz stark eingeschränkt.
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Können Aktionäre Gegenanträge stellen?
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Nach der Konzeption des Covid-19-Gesetzes ist, zumindest bei der Briefwahl-Variante, die Stellung von Gegenanträgen ausgeschlossen. Denn im Vorfeld der HV angekündigte Gegenanträge müssen nach bisherigem Verständnis in der HV nochmals ausdrücklich gestellt werden, was aber nicht möglich ist, weil der Aktionär an der HV gerade nicht teilnimmt. In der Praxis wird dies zum Teil kritisch gesehen. Aktionärsfreundlich wird daher in der Einberufung zum Teil geregelt, dass der Gesellschaft übermittelte Gegenanträge als gestellt gelten oder aber der Stimmrechtsvertreter gesetzlich zulässige Anträge stellen wird. Unseres Erachtens sollte hierauf aus Gründen der Rechtssicherheit verzichtet werden und das Antragsrecht soweit als möglich ausgeschlossen werden. Die Gesellschaft hat hier die Gesetzesbegründung auf ihrer Seite.
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Bis wann können die Stimmen bei der Briefwahl abgegeben werden?
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Das hängt von der Übertragungsart ab: Für die Stimmabgabe per Brief, Fax oder E-Mail wird aus organisatorischen Gründen eine Frist vor der virtuellen HV (i.d.R. ein oder zwei Tage) festgelegt. Die Stimmabgabe über das passwortgeschützte Aktionärsportal im Internet bleibt auch noch während der virtuellen HV möglich, üblicherweise zum Beispiel bis zum Beginn der Abstimmung.
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Was gilt in Bezug auf die bei der Einberufung der HV einzuhaltenden Fristen?
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Der Vorstand kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch die gesetzlichen Fristen im Vorfeld der virtuellen HV verkürzen. Die Einberufungsfrist von 30 Tagen (§ 123 Abs. 1 Satz 1 AktG) kann auf 21 Tage reduziert werden. Die Anmeldefrist und das Record Date würden sich dann ebenfalls verkürzen bzw. verschieben. Aus organisatorischen Gründen ist hiervon aber eher abzuraten.
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Wie steht es um die Rechtssicherheit in Bezug auf die virtuelle HV?
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Anfechtungsklagen in Bezug auf die virtuelle HV sind stark eingeschränkt. Eine Verletzung der oben genannten Voraussetzungen für die virtuelle HV berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung, es sei denn, der Gesellschaft ist insoweit Vorsatz nachzuweisen. Die Beweislast für ein vorsätzliches Verhalten der Gesellschaft liegt wie im Rahmen von § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG beim Anfechtungskläger. Inhaltliche oder sonstige formelle Mängel sind aber nicht privilegiert.