Strengere Regeln für die virtuelle Hauptversammlung im Jahr 2021
Der Gesetzgeber hat kurzfristig – versteckt in Art. 11 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (im Folgenden „Restschuldbefreiungsgesetz“) – strengere Regelungen für die virtuelle Hauptversammlung im Jahr 2021 beschlossen. Geändert wurde damit § 1 Abs. 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts‑, Genossenschafts‑, Vereins‑, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.03.2020 (GesRuaCOVBekG). Dem Beschluss des Bundestags vom 17.12.2020 vorausgegangen war eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 15.12.2020 (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/252/1925251.pdf). Dieser begründet die Änderungen im Wesentlichen mit einer Angleichung der gesetzlichen Regeln an die in diesem Jahr geübte Hauptversammlungspraxis. Man darf jedoch auch unterstellen, dass damit Kritik von Aktionärsschützern Rechnung getragen werden sollte, die die bisherigen Regelungen zur Möglichkeit der Stellung von Fragen und Anträgen teilweise mit deutlichen Worten kritisiert haben.
- Fragerecht: Den Aktionären wird ein echtes Fragerecht eingeräumt und nicht nur eine Fragemöglichkeit, wie nach dem bisherigen Recht. Der Vorstand muss die Fragen der Aktionäre also grundsätzlich beantworten. Das Fragerecht steht aber, wie die Ausschussbegründung ausdrücklich klarstellt, nicht dem in § 131 AktG geregelten Auskunftsrecht gleich, da weiterhin ein Ermessen des Vorstands insoweit besteht, als dass er Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen kann, wenn ihm dies sinnvoll erscheint. Dementsprechend heißt es in § 1 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 GesRuaCOVBekG, dass der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen entscheidet, wie er Fragen beantwortet (früher: „welche Fragen er wie beantwortet“). Man wird davon ausgehen dürfen, dass die Auskunftsverweigerungsgründe des § 131 Abs. 3 AktG entsprechend für das Fragerecht gelten.
- Frist für Einreichung von Fragen: Die Frist für die Einreichung von Fragen vor der Hauptversammlung wurde von zwei Tagen auf einen Tag verkürzt (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GesRuaCOVBekG).
- Anträge und Wahlvorschläge von Aktionären: § 1 Abs. 2 Satz 3 GesRuaCOVBekG sieht nunmehr vor, dass Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären, die nach § 126 oder § 127 AktG zugänglich zu machen sind, als in der Versammlung gestellt gelten, wenn der den Antrag stellende oder den Wahlvorschlag unterbreitende Aktionär ordnungsgemäß legitimiert und zur Hauptversammlung angemeldet ist. Das Gesetz übernimmt damit die schon in dieser Hauptversammlungssaison von einem Gutteil der Gesellschaften praktizierte sog. Fiktionslösung. Gegenanträge und Wahlvorschläge stellten die Gesellschaft bei der virtuellen Hauptversammlung insofern vor Probleme, als dass der Antrag nach bisherigem Verständnis in der Versammlung nochmals gestellt werden muss, was aber nicht möglich ist, wenn den Aktionären, wie bei den Hauptversammlungen im Jahr 2020 weit überwiegend praktiziert, die einzuräumende Stimmrechtsausübung lediglich im Wege der Briefwahl ermöglicht wird. Die Regelung trägt damit zu mehr Rechtssicherheit bei, weil keineswegs klar war, ob es für die Fiktionslösung eine Rechtsgrundlage gab.
- Anfechtungsmöglichkeiten: Die Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten (§ 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG) wurde nicht angetastet. In Bezug auf die Verletzung des Fragerechts dürfte dies bedeuten, dass eine Anfechtungsklage nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn eine zulässige Frage von der Gesellschaft bewusst ignoriert würde (und die Information nach § 243 Abs. 4 AktG relevant gewesen wäre).
- Inkrafttreten: Die neuen Regelungen treten zwei Monate nach Verkündung des Gesetzes in Kraft (vgl. Art. 14 Abs. 3 Restschuldbefreiungsgesetz). Geht man davon aus, dass das Gesetz noch im Dezember im Bundesgesetzblatt verkündet wird, wären Hauptversammlungen ab Ende Februar nach den geschilderten Regeln durchzuführen. Davor gelten noch die alten Regelungen – wichtig insbesondere für Gesellschaften mit abweichendem Wirtschaftsjahr (zum Beispiel 30.09.).
- Geltungsdauer: Die Regeln für die virtuelle Hauptversammlung gelten bis zum 31. Dezember 2021 (§ 7 GesRuaCOVBekG n.F.). Offen bleibt weiterhin, wie es mit der virtuellen Hauptversammlung nach dem Ende der Pandemie weitergeht.