BGH:
Keine Unwirksamkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern bei Abweichung von den Kodex-Empfehlungen
21.02.2019
Entscheidung
Der BGH hat in einer grundlegenden Entscheidung (BGH, Urteil vom 09.10.2018 – II ZR 78/17) zu verschiedenen praxisrelevanten Fragen der Hauptversammlung Stellung genommen.
- Der BGH urteilt zunächst, dass eine Abweichung des Wahlvorschlags von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern hat. Dies wurde von einem Großteil der Rechtsprechung und der Literatur nach der Entscheidung „Kirch/Deutsche Bank“ (BGH, Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07) betreffend die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse wegen der Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung anders gesehen. Der BGH geht aber davon aus, dass eine etwaige Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung durch die Gesellschaft rechtlich von der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag und die anschließende Wahl in der Hauptversammlung zu trennen ist und gelangt so zu dem Ergebnis, dass die Abweichung des Wahlvorschlags von den Kodex-Empfehlungen den Wahlvorschlag des Aufsichtsrats oder seine Bekanntmachung weder unwirksam macht noch ein für die Wahlentscheidung der Hauptversammlung relevanter Verstoß gegen Informationspflichten vorliegt. Der BGH betont in diesem Zusammenhang insbesondere noch einmal die Rechtsnatur der Entsprechenserklärung, die nicht HV-bezogen ist, sondern als Erklärung für den Kapitalmarkt dient.
- Der BGH hat sodann entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot – mit der Folge der Anfechtbarkeit des HV-Beschlusses – verletzt ist, wenn Aktionäre nach Ablauf der Anmelde- und Nachweisfrist zugelassen werden, obwohl die Einladung ausdrücklich darauf hinweist, dass sich ein Aktionär in der Anmeldefrist anmelden und in der Nachweisfrist legitimieren muss. Eine solche nachträgliche Zulassung von Aktionären kommt in der Praxis durchaus vor, weil in der Literatur vertreten wird, dass die Gesellschaft einseitig auf die Einhaltung der gesetzlichen Fristen verzichten kann. Dem folgt der BGH so nicht. Er lässt zwar offen, ob ein Aktionär, der die in der Einladung zur Hauptversammlung genannte Anmeldefrist oder die Frist zur Einreichung des Nachweises des Anteilsbesitzes versäumt hat, grundsätzlich nicht nachträglich zugelassen werden darf oder ob die Gesellschaft auf die Einhaltung der gesetzten Fristen einseitig verzichten kann und Aktionäre unter Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes nach § 53 a AktG noch nach Ablauf der Anmelde- und Nachweisfrist zulassen kann. Dann aber, wenn die Einladung – wie in der Praxis absolut üblich – ausdrücklich darauf hinweist, dass sich der Aktionär in der Anmeldefrist anmelden und in der Nachweisfrist legitimieren muss, ist der Gesellschaft bei Zulassung von nachträglich gemeldeten Aktionären die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes nicht möglich, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass andere nicht ordnungsgemäß angemeldete Aktionäre erst gar nicht Zutritt zur Hauptversammlung verlangen.
- Der BGH billigte für den konkreten Fall (kein Fall des § 137 Satz 1 AktG) schließlich das vom Versammlungsleiter angeordnete Wahlverfahren einer Alternativwahl zwischen dem vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten und dem von einem Aktionär vorgeschlagenen Kandidaten, wohingegen nicht erforderlich sei, dass bei allen zur Abstimmung stehenden Wahlen mit mindestens drei Kandidaten in einem Wahlgang über alle Kandidaten abzustimmen ist. Die Empfehlung im DCGK, wonach Wahlen zum Aufsichtsrat als Einzelwahl durchgeführt werden sollen, sei für den Versammlungsleiter nicht bindend.
Praxishinweis
Die sorgsam begründete und enorm praxisrelevante Entscheidung kann man schon als kleinen „HV-Leitfaden“ bezeichnen. In Bezug auf die Durchführung der HV betont der BGH zurecht die Aufgabe des Versammlungsleiters, für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung zu sorgen. Bereits aus dieser Aufgabenzuweisung folgt, dass der Versammlungsleiter alle Rechte hat, die er braucht, um die Hauptversammlung ordnungsgemäß abzuwickeln. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben hat sich ein Versammlungsleiter am Gebot der Sachdienlichkeit zu orientieren sowie das Gleichbehandlungsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren. Bei konkurrierenden Anträgen – so ausdrücklich der BGH – ist die Vermeidung überflüssiger Wahlgänge ein beachtlicher Sachgesichtspunkt, was dafür spricht, zunächst einen mehrheitsfähigen Verwaltungsvorschlag zur Abstimmung zu stellen.
Mit äußerster Vorsicht ist nach der BGH-Entscheidung hingegen die nachträgliche Zulassung von Aktionären nach Ablauf der Anmeldefrist zu behandeln.