Handlungsbedarf bei EU-Fernverkäufen und Handel im Internet
Die zweite Stufe des sogenannten Mehrwertsteuer-Digitalpakets beinhaltet umsatzsteuerliche Neuregelungen, insbesondere zur maßgeblichen Lieferschwelle, zu besonderen Besteuerungsverfahren für Fernverkäufe (bisher „Versandhandel“) von Gegenständen und Dienstleistungen an Privatpersonen und bestimmte andere Personen (B2C) und zu Leistungen über elektronische Schnittstellen (bisher „Marktplatz“). Sie treten größtenteils zum 01.07.2021 in Kraft.
Im Geschäftsverkehr mit B2C-Endkunden soll die Umsatzbesteuerung grundsätzlich im EU-Mitgliedstaat des Endverbrauchers stattfinden (Bestimmungslandprinzip), ohne den leistenden Unternehmer mit einer umsatzsteuerlichen Registrierung in den einzelnen Bestimmungsländern zu belasten. Die bisher länderindividuellen Lieferschwellen wurden daher zugunsten der Einführung einer einheitlichen Lieferschwelle von insgesamt nur 10.000 Euro abgeschafft (§ 3c UStG). Zur Erleichterung des administrativen Aufwands in Bezug auf die umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten wurde das bisherige MOSS-Verfahren (nur Telekommunikations‑, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, sog. TRFE-Leistungen) nunmehr auch auf Warenlieferungen ausgeweitet und künftig unter dem neuen Namen One-Stop-Shop-Verfahren (OSS) geführt.
Weitere Neuregelungen des Mehrwertsteuer-Digitalpaktes betreffen
- die Einbeziehung von Betreibern elektronischer Schnittstellen (z. B. Amazon) in fiktive Lieferketten, die zur Steuerschuldnerschaft des Marktplatzbetreibers führen (§ 3 Abs. 3a, 6b, § 4 Nr. 4c UStG) sowie neben besonderen Aufzeichnungs- und Nachweispflichten auch eine europaweite Haftung für Betreiber elektronischer Marktplätze (§§ 22f, 25e, 27 Abs. 25 UStG),
- die Erweiterung der einzigen Anlaufstelle (OSS) für durch im Drittland ansässige Unternehmer an B2C-Endkunden erbrachte Dienstleistungen (Nicht-EU-Verfahren, § 18i UStG),
- die Erweiterung der einzigen Anlaufstelle (OSS) für EU-Verfahren bei innergemeinschaftlichen Fernverkäufen und sonstigen Leistungen sowie fiktive Lieferungen durch Betreiber einer elektronischen Plattform (§ 18j UStG),
- die Einführung der einzigen Anlaufstelle für Importfälle als sog. Import-One-Stop-Shop (IOSS, § 18k UStG) für aus dem Drittland eingeführte Gegenstände mit einem Sachwert bis 150 Euro (§ 5 Nr. 7 UStG),
- die Einführung einer Sonderregelung zur Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer ohne IOSS und Abschaffung der 22-Euro-Freigrenze.
Praxishinweis
Insbesondere Unternehmer, die innergemeinschaftliche Lieferungen oder Dienstleistungen an B2C-Endabnehmer erbringen, sollten die Neuregelungen beachten. Durch die Absenkung der Lieferschwelle für den Fernverkauf kann sich der Ort der Lieferung nun häufiger in das Bestimmungsland verlagern. Der liefernde Unternehmer muss dann die ausländische – vielerorts höhere – Umsatzsteuer abführen. Hieraus können sich neue Registrier- und Meldepflichten ergeben. Entscheidet sich der Unternehmer für das OSS-Verfahren (Wahlrecht), entfällt eine gesonderte Registrierungspflicht im EU-Ausland. Die Meldung wird in diesem Fall einheitlich für alle vom Verfahren erfassten, in den EU-Mitgliedsstaaten getätigten Umsätze abgegeben. Die Voraussetzungen und Registriererfordernisse hierzu sollten rechtzeitig im Einzelfall überprüft werden. Die Registrierung beim zuständigen Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ist seit dem 01.04.2021 möglich und muss vor Beginn des Kalendervierteljahres erfolgt sein, für das erstmals eine Teilnahme am OSS-Verfahren angestrebt wird.