BGH:
Fiktive Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht zulässig
Entscheidung
Der zwischen zwei BGH-Senaten schwelende Streit über die Ersatzfähigkeit der sogenannten fiktiven Mängelbeseitigungskosten ist vorerst beigelegt: Der V. Zivilsenat entschied beim Kauf einer Immobilie, die einen Mangel hatte, zugunsten des Käufers (BGH, Urteil vom 12. März 2021 – V ZR 33/19). Dieser konnte den Schadensersatz anhand fiktiver Mängelbeseitigungskosten berechnen. Der VII. Zivilsenat ist im Bau- und Werkvertragsrecht dagegen von der fiktiven Schadensberechnung abgerückt und lässt diese (unter anderem zur Vermeidung einer Schadensüberkompensation des Bestellers) künftig nicht mehr zu (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 und Urteil vom 21. Juni 2018 – VII ZR 173/16). Einer Vorlage an den Großen Senat bedurfte es aber nicht, weil der VII. Zivilsenat seine Rechtsprechungsänderung explizit mit den Besonderheiten des Werk- und Architektenvertragsrechts begründete. Diese Grundsätze seien nicht auf andere Vertragstypen des besonderen Schuldrechts übertragbar.
Hintergrund
Der Entscheidung des V. Zivilsenats lag ein Rechtsstreit über die Kosten der Beseitigung von Feuchtigkeitsschäden nach dem Verkauf einer Eigentumswohnung zu Grunde. Der Verkäufer hatte sich im Kaufvertrag verpflichtet, nach dem Verkauf auftretende Feuchtigkeitsschäden bis zu einem definierten Zeitpunkt auf seine Kosten beheben zu lassen. Als die Feuchtigkeitsschäden tatsächlich auftraten, verweigerte der Verkäufer die Beseitigung. Die Käufer klagten daraufhin auf Zahlung der voraussichtlich aufzuwendenden fiktiven Mängelbeseitigungskosten und hatten damit Erfolg.
Unterschied zwischen Werkvertrag und Kaufvertrag beim Immobilienkauf beachten
- Keine Übertragung der Werkvertragsregeln auf Kaufrecht: Der V. Senat legte dem VII. Senat die Frage vor, ob dieser an der Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten wolle. Die Abkehr von der fiktiven Schadensberechnung erfolgte insbesondere auch deshalb, weil Sinn des Schadensersatzes nicht sei, eine außerordentliche Geldquelle für den Besteller zu schaffen. Erst wenn der Besteller den Mangel beseitigen lässt und die Kosten hierfür begleicht, entstehe ihm ein Vermögensschaden in Höhe der aufgewendeten Kosten. Der VII. Senat entschied somit, dass die Grundsätze zur Schadensberechnung beim Werkvertrag wegen grundlegender Unterschiede der beiden Vertragstypen nicht ohne weiteres auf das Kaufvertragsrecht übertragbar seien und hielt ausdrücklich an seiner Rechtsprechungsänderung fest (BGH, Beschluss vom 08.10.2020 – VII ARZ 1/20).
- Kein Vorschussanspruch im Kaufrecht: Während dem Besteller im Werkvertragsrecht für den Fall des Auftretens eines Mangels ein gesetzlicher Vorschussanspruch (hiermit können die voraussichtlichen Kosten einer Mängelbeseitigung geltend gemacht werden, ohne in Vorleistung zu gehen) gegen den Vertragspartner zusteht, fehlt eine solche Regelung im Kaufrecht. Der Besteller ist im Werkvertragsrecht gegen außergewöhnliche finanzielle Belastungen infolge einer erforderlichen Vorfinanzierung von Mängelbeseitigungskosten geschützt. Im Kaufrecht könne der fehlende Vorschuss zur Mängelbeseitigung nach Ansicht des V. Senats ansonsten dazu führen, dass der Gläubiger den Mangel nicht beseitigen könne, wenn er finanziell dazu nicht in der Lage sei.
- Schutz gegen unangemessene Überkompensation im Kaufrecht: Der VII. Senat hat die fiktive Schadensberechnung insbesondere auch wegen des Problems der Schadensüberkompensation und Bereicherung des Bestellers ausgeschlossen. Der V. Senat verweist dagegen auf die Regelung des § 439 Abs. 4 S. 2 BGB: Danach kann der Käufer als Schadenersatz lediglich den durch den Mangel verursachten Minderwert und nicht die Kosten der Nacherfüllung in Form der Mängelbeseitigungskosten beanspruchen, wenn die Nacherfüllung mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Der Verkäufer sei damit gegen eine unangemessene Überkompensation infolge der fiktiven Schadensberechnung geschützt.
- Ersatz der Umsatzsteuer: Die Umsatzsteuer bei der Geltendmachung des Schadensersatzes muss allerdings nur ersetzt werden, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Hier folgte der V. Zivilsenat der früheren Rechtsprechung des VII. Zivilsenats für das Werkvertragsrecht.
Praxistipp
Die Einordnung eines Vertrags in das Kauf- oder in das Werkvertragsrecht wird sich künftig vor allem in denjenigen Fällen auswirken, in denen die Mängelbeseitigungskosten den mangelbedingten Minderwert erheblich überschreiten. In diesen Fällen könnte es für den Geschädigten also vorteilhaft sein, wenn sich die Berechnung des Schadensersatzes nach den Regelungen des Kaufrechts richtet.
Allerdings gilt bei Verträgen über den Erwerb neu zu errichtender oder umzubauender Immobilien hinsichtlich des Bauwerks Werkvertragsrecht (vgl. § 650u BGB). Handelt es sich dagegen um die Veräußerung einer gebrauchten Immobilie und übernimmt der Verkäufer eine untergeordnete werkvertragliche Verpflichtung (zum Beispiel das Streichen der Wände), kann diese je nach Ausgestaltung der Vereinbarung auch vom Kaufrecht mit umfasst werden.
Das Problem der Schadensüberkompensation und Bereicherung des Bestellers stellt sich jedoch nicht nur im Kauf- und Werkvertragsrecht, sondern unter Umständen auch im Bereich von Verkehrsunfallsachen und der Berechnung fiktiver Reparaturkosten und Nutzungsentschädigungskosten. Es bleibt also abzuwarten, ob sich hier auch die Rechtsprechung des V. Senats durchsetzen oder aber dem „Geschäftsmodell“ der fiktiven Schadensberechnung für Fahrzeuge der Oberklasse bei tatsächlich deutlich niedrigeren Kosten einer Reparatur (außerordentliche Bereicherung) künftig der Riegel vorgeschoben wird.