BGH:
Aufklärungspflichten im Rahmen der Due Diligence bei Immobilienverkauf
Entscheidung
Der BGH hat erstmals konkrete Vorgaben für die Offenlegung von Unterlagen in einem Datenraum im Rahmen einer Due Diligence gemacht. Beim Verkauf von Immobilien muss danach über anstehende Sanierungskosten hinreichend aufgeklärt werden. Die Einstellung von Unterlagen in einen virtuellen Datenraum ohne einen entsprechenden Hinweis drei Tage vor Vertragsschluss reicht nicht aus, um den Aufklärungspflichten des Verkäufers zu genügen (BGH Urteil vom 15.09.2023 – V ZR 77/22).
Hintergrund
Der Entscheidung lag ein notarieller Grundstückskaufvertrag aus dem Frühjahr 2019 über mehrere Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex zu einem Kaufpreis von über 1,5 Millionen Euro zugrunde. Im Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin, dass (mit Ausnahme geringfügiger Dachsanierungen) keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftige Sonderumlage ergebe und nach ihrer Kenntnis auch keine außergewöhnlichen Sanierungen bevorstehen, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt sind. Die Parteien hielten darüber hinaus im Kaufvertrag fest, dass die Verkäuferin der Käuferin Protokolle der Eigentümerversammlungen der vergangenen drei Jahre übergeben und die Käuferin Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen habe.
Die Verkäuferin richtete für die Käuferin einen virtuellen Datenraum ein, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Erst drei Tage vor der Beurkundung des Kaufvertrages im März 2019 stellte die Verkäuferin – ohne die Käuferin hierüber zu informieren – in den Datenraum das Protokoll einer Eigentümerversammlung aus dem Jahr 2016 ein, aus dem sich im Ergebnis ergab, dass auf die Käuferin Kosten für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums zukommen könnten, die deutlich über dem Kaufpreis der Immobilie lagen.
In der Folge kam es zur Anfechtung des Kaufvertrages durch die Käuferin wegen arglistiger Täuschung. Sie erklärte darüber hinaus vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag und machte Schadensersatz geltend.
Entscheidungsgründe
Anders als die Vorinstanzen entschied der BGH zugunsten der Käuferin und folgerte aus § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch infolge eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflichten durch die Verkäuferin:
- Aufklärungspflicht über Umstände, die Vertragszweck vereiteln können: Es besteht nach ständiger Rechtsprechung des Senats zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. So sei vielmehr jeder Verhandlungspartner grundsätzlich für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und müsse sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Anders liegt der Fall aber dann, wenn Umstände für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind und der Vertragspartner die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Vertragsanschauung redlicherweise erwarten darf. Ein solcher Umstand kann nach dem BGH auch dann vorliegen, wenn er geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Der Verkäufer ist darüber hinaus verpflichtet, Fragen des Käufers zutreffend und vollständig zu beantworten.
- Hier hätte die Verkäuferin die Käuferin und Klägerin – auch ungefragt – darüber aufklären müssen, dass bauliche Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum im Kostenumfang von bis zu 50 Millionen Euro ausstanden. Denn dieser Kostenumfang sei für die Käuferin von erheblicher Bedeutung. Es sei nicht festgestellt und nicht ersichtlich, dass diese ausstehenden Kosten bei einer Besichtigung ohne weiteres erkennbar waren.
- Kenntnisnahme bei der Übergabe von Unterlagen: Selbst wenn der Käufer die Möglichkeit habe, sich die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand selbst zu verschaffen, schließt dies nach Ansicht des BGH eine Pflicht des Verkäufers zur Offenbarung nicht von vornherein aus. Ein Verkäufer könne aufgrund der Umstände nur in bestimmten Fällen – etwa bei Übergabe eines Sachverständigengutachtens im Fall von möglichen Mängeln – die berechtigte Erwartung haben, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird.
- Einzelfallbetrachtung bei Due Diligence: Bei der Frage, ob der Verkäufer eines bebauten Grundstücks mit der Einrichtung, Bestückung und Eröffnung eines (physischen oder virtuellen) Datenraums seiner Aufklärungspflicht gegenüber dem späteren Käufer hinsichtlich eines offenbarungspflichtigen, in dem Datenraum als Information vorhandenen Umstands genügt, stellt der Senat auf eine Einzelfallbetrachtung ab. So komme es darauf an,
- in welchem Umfang der Käufer eine Due Diligence durchführt,
- wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sind und welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden sowie
- welcher Art die Information ist, um deren Offenbarung es geht, und die Unterlage, in der sie enthalten ist,
- welchen Umfang die im Datenraum eingestellten Informationen haben und darauf, ob diese zutreffend benannt und systematisch geordnet sind,
- ob es ein Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion gibt,
- ob der Käufer auf nachträglich eingestellte Informationen gesondert hingewiesen wird,
- welches Zeitfenster dem Käufer für die Überprüfung der Informationen zur Verfügung steht,
- ob der Käufer die Information gesondert angefordert bzw. zum Ausdruck gebracht hat, dass es für ihn auf einen Umstand besonders ankommt,
- ob der Käufer geschäftsgewandt ist, von sachkundigen Personen beraten wird und dem Verkäufer dies bekannt ist.
- Konkretisierung im vorliegenden Fall: Die Parteien hatten im vorliegenden Fall zwar keine Frist für das Einstellen von Dokumenten in den Datenraum vereinbart, die Käuferin und Klägerin musste nach Ansicht des BGH am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin jedoch nicht mehr mit neu eingestellten Dokumenten rechnen.
Fazit
Gegenstand des vom BGH entschiedenen Falles war ein Immobilienkaufvertrag und die Erfordernisse im Rahmen einer Due Diligence bei Immobilientransaktionen. Es ist bei höchstrichterlichen Entscheidungen zu Unternehmenstransaktionen eine verstärkte Tendenz zu beobachten, die Anforderungen an die Aufklärungspflichten weiter zu konkretisieren. Bei Unternehmensverkäufen wird vom Verkäufer (in ständiger Rechtsprechung des BGH) schon länger verlangt, über Umstände aufzuklären, die für den Käufer erkennbar wesentlich sind. Der BGH hat seine Grundsätze hierzu auch in der vorliegenden Entscheidung erneut bestätigt und zudem seine Rechtsprechung zu den Anforderungen bei der Übergabe von Unterlagen zur Prüfung an den Käufer fortgesetzt. Interessant ist, dass der Senat sogar über die eigentlich zu entscheidende Frage der arglistigen Täuschung durch fehlende Aufklärung hinausgeht und hier einen konkreten Anforderungskatalog für die Einrichtung von und Offenlegung in Datenräumen erstellt hat.
Insbesondere bei der Einrichtung von Datenräumen sollte nach den Vorgaben des BGH künftig darauf geachtet werden, dass neben einer nachvollziehbaren organisatorischen Struktur durch Inhaltsverzeichnisse auch alle Dokumente richtig bezeichnet und an der korrekten Stelle abgelegt sind. Ein besonderes Augenmerk sollte daraufgelegt werden, dem Käufer einen entsprechenden Hinweis zu geben, wenn Dokumente neu eingestellt werden. Das Einstellen der Dokumente sollte zudem nicht kurzfristig vor dem Beurkundungstermin erfolgen.