OLG Hamm:
Treuepflicht des Gesellschafters bei fehlerhaftem Hinweis auf tatsächlich nicht bestehendes Stimmverbot des Mitgesellschafters
24.09.2019
Entscheidung
Wird einem Gesellschafter durch einen falschen Hinweis suggeriert, sein Erscheinen zur Gesellschafterversammlung werde mangels Stimmrecht ohne Einfluss sein und erscheint dieser Gesellschafter dann tatsächlich nicht zur Versammlung, kann daraus eine gesteigerte Treuepflicht des einladenden Gesellschafters resultieren, die dieser durch seine Beschlussfassung dann verletzt (OLG Hamm, Urteil vom 19.07.2018 – I‑27 U 14/17).
Hintergrund
Das OLG Hamm war mit einer GmbH befasst, der zwei Gesellschafter mit Anteilen von 30 % bzw. 70 % angehörten. Beide waren zugleich Geschäftsführer bzw. stellten diesen. Laut Gesellschaftsvertrag erforderte die Änderung und Beendigung ihrer Anstellungsverträge einen einstimmigen Beschluss der Gesellschafterversammlung. Laut den Anstellungsverträgen war die Gesellschaft jederzeit zur Freistellung des Geschäftsführers berechtigt.
Als Geschäftsführer lud der 70%-Gesellschafter zur Gesellschafterversammlung mit der Freistellung des anderen Geschäftsführers als Tagesordnungspunkt. Gleichzeitig wies er letzteren – der wie erwähnt auch Gesellschafter war – auf dessen angebliches Stimmverbot bei der Abstimmung über seine Freistellung hin. Dieser erschien dann tatsächlich nicht zur Versammlung. Der anwesende Gesellschafter beschloss die Freistellung.
Das OLG Hamm erklärte den Beschluss für treuwidrig und damit für unwirksam. Insbesondere die Gesellschaftermehrheit müsse Rücksicht auf die Interessen der Mitgesellschafter nehmen, gerade in GmbH-Gesellschaften, die nach ihren inneren Verhältnissen – kleiner Gesellschafterkreis, einstimmige Beschlussfassung – einer Personengesellschaft (GbR, OHG, KG) ähnelten.
Ein Stimmverbot habe nicht bestanden, weil dieses nicht eingreife, wenn der Gesellschafter sein Mitgliedschaftsrecht ausübt, wozu auch die Freistellung des Gesellschafter-Geschäftsführers gehöre. Den einladenden Gesellschafter treffe eine gesteigerte Treuepflicht, weil der eingeladene Gesellschafter auf den falschen Hinweis des Einladenden nicht erschienen sei.
Grund für die Unwirksamkeit des Beschlusses über die Freistellung war damit die alleinige Abstimmung des einladenden Gesellschafters infolge seines fehlerhaften Hinweises auf das Stimmverbot, nicht – wie das Gericht ausdrücklich offenließ – eine wegen des Hinweises ggf. schon fehlerhafte Einladung.
Für unerheblich hielt das Gericht, dass der eingeladene Gesellschafter nicht zu der Gesellschafterversammlung erschienen war, obwohl er richtigerweise gegen seine Freistellung hätte stimmen können, diese wegen des Einstimmigkeitserfordernisses also hätte verhindern können.
Praxishinweis
Das rechtskräftige Urteil führt die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Rücksichtnahmepflicht für die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen vor Augen, gerade bei Gesellschaften mit überschaubarem Gesellschafterkreis, z. B. in Familiengesellschaften. Treuwidriges – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten birgt daher Anfechtungsrisiken und kann daher den Bestand gefasster Beschlüsse gefährden.
Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass ein Gesellschafter nicht per se einem Stimmverbot unterliegt, wenn über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts der Gesellschaft ihm gegenüber Beschluss gefasst wird. Grundsätzlich darf ein Gesellschafter auch bei solchen innergesellschaftlichen Angelegenheiten mitstimmen, die seine Person betreffen, z. B. hinsichtlich der Begründung oder Abänderung seines Anstellungsverhältnisses oder seiner ordentlichen Kündigung als Geschäftsführer. Ein Stimmverbot greift aber dann, wenn der Beschluss auf einem wichtigen Grund beruht, z. B. die sofortige Freistellung eines Gesellschafter-Geschäftsführers auf dessen Fehlverhalten. Daran fehlte es im vorliegenden Fall wegen der jederzeitigen Freistellungsmöglichkeit laut Anstellungsvertrag.