BGH:
Nichtigkeit des Jahresabschlusses wegen Überbewertung von Bilanzposten
Entscheidung
Fehlbewertungen einzelner Bilanzposten können zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses führen, wenn die Schwelle zur Wesentlichkeit überschritten ist. Wird die Überbewertung eines Bilanzpostens von einer Gesellschaft gezielt dazu eingesetzt, um den Gläubigern ein nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Vermögens‑, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln, ist die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zu bejahen (BGH, Beschluss vom 11.05.2021 – II ZR 56/20).
Hintergrund
Die beklagte Aktiengesellschaft zeichnete im Herbst 2011 sog. „Goldsparpläne“ über insgesamt 52,2 Millionen Euro bei einer Laufzeit von 30 Jahren. Für den Abschluss bezahlte die Beklagte unter anderem eine Einrichtungsgebühr in Höhe von 6 % der Anlagesumme. Bis zum 31.12.2011 erwarb die Beklagte aufgrund der Goldsparpläne Gold im Wert von 435.000 Euro.
Im Jahresabschluss zum 31.12.2011 erfasste die Beklagte die Goldsparpläne im Anlagevermögen. Zur Erläuterung war ausgeführt:
„Die Zugänge im Geschäftsjahr resultieren insbesondere aus der Investition in Anlagegold. (…) Die im Zusammenhang mit dem Abschluss des Goldsparplans gezahlten Gebühren und Zuschläge wurden als Anschaffungsnebenkosten aktiviert. Der Anteil der Anschaffungsnebenkosten, der auf Investitionen nach dem Bilanzstichtag entfällt, beträgt 6,26 Mio. Euro.“
Über das Vermögen der Beklagten wurde 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der klagende Insolvenzverwalter der Aktiengesellschaft begehrte die Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Beklagten zum 31.12.2011 (§ 256 Abs. 5 Nr. 1 und Satz 2 AktG) sowie des darauf aufbauenden Gewinnverwendungsbeschlusses.
Der BGH bestätigte die Nichtigkeitsfeststellung und den Grundsatz, dass die Überbewertung eines Bilanzpostens (hier: aktivierte Goldsparpläne) dann zur Nichtigkeit führt, wenn sie dem Umfang nach nicht bedeutungslos ist. Zur Frage, ob die Wesentlichkeit der Überbewertung im Verhältnis zur Bilanzsumme oder zum Bilanzgewinn zu betrachten ist, äußert er sich jedoch nicht.
Der BGH hielt hier die bestehende Überbewertung des Bilanzpostens „andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung“ von über 500 % für wesentlich, da sie ihrem Umfang nach keine bloße Bagatellabweichung darstelle. Denn: Vermögensgegenstände sind grundsätzlich mit ihren tatsächlich angefallenen Anschaffungskosten und Anschaffungsnebenkosten (hier unter anderem die Einrichtungsgebühr) zu aktivieren. Dies gilt auch dann, wenn diese überhöht sind. Bei einer überhöhten Zugangsbewertung ist eine Wertberichtigung in der laufenden Abrechnungsperiode nicht ausgeschlossen. Spätestens im Jahresabschluss zum 31.12.2011 hätte die Beklagte eine Abwertung prüfen und gegebenenfalls durchführen müssen (Abschreibung der vorperiodischen Anschaffungsnebenkosten wie unter anderem der Einrichtungsgebühr).
Das Berufungsgericht hatte tatrichterlich festgestellt, dass die Aktiengesellschaft bereits im für die Aufstellung des Jahresabschlusses 2011 maßgeblichen Zeitpunkt unter Berücksichtigung des Wertaufhellungszeitraums nicht beabsichtigte, die Goldsparpläne vertragsgemäß über die vereinbarte Laufzeit durchzuführen, sondern diese alsbald wieder kündigen und die Goldbestände veräußern wollte. Damit waren die aktivierten Posten wertlos – und es konnte dabei offenbleiben, ob eine Zuordnung zum Anlage- oder Umlaufvermögen vorliegt.
Ungeachtet der quantitativen Betrachtung sei die Schwelle zur Wesentlichkeit im vorliegenden Fall jedenfalls deshalb überschritten, da wichtige Bewertungsvorschriften und der Gläubigerschutz missachtet worden seien. Die Überbewertung eines Bilanzpostens wurde nämlich gezielt eingesetzt, um den Gläubigern ein nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Vermögens‑, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln und führte zu überhöhten Ausschüttungen bzw. Gewinnabführung.
Fazit
Die Entscheidung ist außer für Aktiengesellschaften insbesondere auch für GmbHs von Bedeutung. Der BGH lässt in diesem Beschluss zwar weiter offen, ob die Überbewertung zur Begründung ihrer Wesentlichkeit mit der Bilanzsumme oder dem Bilanzgewinn verglichen werden muss. Jedenfalls können Überbewertungen aber auch unabhängig davon erheblich sein, wenn es sich ihrem Umfang nach nicht um bloße Bagatellabweichungen ohne wesentliche Auswirkungen auf die Darstellung der Vermögens‑, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft handelt. Die Schwelle zur Wesentlichkeit kann auch überschritten sein, wenn wichtige Bewertungsvorschriften missachtet werden und es sich um einen schwerwiegenden Verstoß handelt.
Dass der Insolvenzverwalter in Fällen wie dem vorliegenden zur Klage befugt ist, hat der BGH bereits 2020 bejaht (BGH, Urteil vom 21.04.2020 – II ZR 412/17): Der Insolvenzverwalter kann Nichtigkeitsklage erheben, soweit die Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses die Insolvenzmasse betrifft.