OLG Stuttgart:
Konkretisierung von Mindeststandards zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Entscheidung
Zwei Jahre nach der Einführung des Geschäftsgeheimnisgesetzes vom 26.04.2019 äußert sich nun das OLG Stuttgart zu der Frage, was unter dem „Ergreifen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen“ (§ 2 Nr. 1 b) Geschäftsgeheimnisgesetz) zu verstehen ist und welche Mindeststandards zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen erfüllt sein müssen (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 – 2 U 575/19).
Hintergrund
Die Klägerin, eine Herstellerin von Schaumstoffsystemen, hatte sich gegen die Verwendung verschiedener Rezepturen für Klebstoffe und Schaumsysteme sowie ihrer Kundenlisten gewehrt und unter anderem gegenüber dem ehemaligen Geschäftsführer und anderen Mitarbeitern Unterlassungs- und Folgeansprüche geltend gemacht.
Das OLG Stuttgart prüfte zunächst, ob die Klägerin als Geheimnisinhaber im Sinne des Geschäftsgeheimnisgesetzes im Vorfeld sinnvolle und effiziente Maßnahmen getroffen hatte, um ihre Informationen zu schützen. Nach der Entscheidung des Gerichts sei dabei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Die folgenden Punkte sind dabei zu berücksichtigen:
- Mindeststandard ist, dass relevante Informationen nur Personen anvertraut werden dürfen, die die Informationen zur Durchführung ihrer Aufgabe (potenziell) benötigen und die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (sogenanntes Need-to-know-Prinzip). Zudem müssen diese Personen wissen, dass sie in Bezug auf die fraglichen Informationen einer Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen.
- Die in Papierdokumenten verkörperten Geschäftsgeheimnisse müssen gegen den Zugriff unbefugter Personen gesichert sein. Die Stellen im Unternehmen, an denen die Dokumente verwahrt werden, müssen hinreichend gegen den Zutritt unbefugter Personen gesichert sein, bei sensiblen Informationen müssen die Geheimnisse verschlossen oder der Raum abgeschlossen werden.
- Genauso wie das Ergreifen verschiedener verstärkender Maßnahmen zu einem angemessenen Schutzniveau führen kann, kann ein in Kauf genommenes „Datenleck“ zu der Bewertung führen, dass insgesamt kein angemessenes Schutzniveau mehr vorliegt.
- Das zugelassene Speichern von Dateien mit Geschäftsgeheimnissen auf privaten Datenträgern ist nach dem OLG als äußerst kritisch anzusehen. Insbesondere wenn die Dateien dort ohne Passwort zugänglich sind, sei ein Zugriff durch Dritte nicht mehr auszuschließen. Dies gelte nicht nur für berechtigte Mitbenutzer, sondern auch im Falle eines Weiterverkaufs der Privatgeräte ohne vorherige ausreichende Löschung. Dann habe der Geheimnisinhaber keine effektive Kontrolle über seine Daten mehr.
Das OLG verweist auf die Gesetzesbegründung zum Geschäftsgeheimnisgesetz, wonach es bei der Bewertung der Angemessenheit der Schutzmaßnahmen insbesondere auf den Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, die Natur der Informationen, die Bedeutung für das Unternehmen, die Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Informationen und vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern ankommt.
Das OLG nimmt auch Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Ludwigsburg (Urteil vom 17.03.2017 – 26 Ca 400/16) zu Verschwiegenheitserklärungen in Arbeitsverträgen. Danach müssen Verschwiegenheitserklärungen hinreichend bestimmt und insbesondere klargestellt sein, auf welche Geschäftsgeheimnisse Bezug genommen wird. Ist die nachvertragliche Verschwiegenheitsklausel zu weit und erfasst auch alltägliche Vorgänge, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber kein Interesse hat, wirkt sie unangemessen und benachteiligend und verstößt damit gegen AGB-Recht. In diesem Zusammenhang gibt es auch ein aktuelles Urteil des LAG Düsseldorf (Urteil vom 03.06.2020 – 12 SaGa 4/20): Danach können auch vertragliche Regelungen (etwa die Verschwiegenheitserklärung) ein Mittel des Geheimnisschutzes sein, wenn sie den Anforderungen des § 2 Nr. 1 b) Geschäftsgeheimnisgesetz entsprechen und insbesondere Bezug nehmen auf den Begriff des Geschäftsgeheimnisses (entweder im Sinne des bisherigen) oder neuen Rechts. Nach dem LAG erfordert der Begriff angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen allerdings nicht einen optimalen Schutz, sondern nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bewertende Maßnahmen.
Praxistipp
Auch wenn das OLG Stuttgart die Anforderungen der Angemessenheit von Schutzmaßnahmen von einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall abhängig macht: Die Vorgaben geben Anlass, den konkreten Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu überprüfen und – sofern noch nicht vorhanden – ein Geheimnisschutzkonzept zu entwickeln. Dies umfasst gegebenenfalls auch die Anpassung von Verschwiegenheitserklärungen in Arbeitsverträgen, Mitarbeiterschulungen und die Konkretisierung von Zugangsrechten relevanter Informationen für einzelne Mitarbeiter und Geschäftspartner. Rein arbeitsvertragliche Regelungen sind nicht ausreichend, es muss vielmehr ein Bündel an technischen und organisatorischen Maßnahmen umgesetzt werden.